Diplom-Historiker Alex Dreger
Eine Happy-End-Geschichte aus dem 18. Jahrhundert
Beitrag zur Familiengeschichte derer von Mengden
Die engen Verbindungen zwischen Russland und Deutschland gehen schon auf die ersten Jahre des russischen Staates, der aus dem Moskauer Fürstentum hervorgegangen ist, zurück. Die Deutschen kamen als Militärs, Wissenschaftler, Ärzte, Handwerker und Kaufleute zum Zarenhof. So unterschiedlich wie ihre Berufe, so unterschiedlich waren auch die Wege, auf denen sie nach Russland gelangten.
In dieser Hinsicht ist die Geschichte einiger Vertreter des Adelsgeschlechts derer von Mengden besonders interessant, weil sie, wie in einem Spiegel, die Höhen und Tiefen vorführt, die ein Mensch im Russland dieser Zeit innerhalb weniger Jahre erleben konnte.
Der erste Angehörige des russischen Zweiges der Familie von Mengden kam unfreiwillig nach Russland. Es war Ernst von Mengden, der 1577 während des Livländischen Krieges (1558–1583) in russische Gefangenschaft geriet. Dann ging er in den russischen Dienst und genoss das volle Vertrauen des Monarchen. Am Ende seines Lebens trug er den ehrenvollen Titel des Stolniks beim Hof des Zaren Ioann IV. (1530–1584).
Seine Nachkommen waren ebenso erfolgreich und machten Karrieren im militärischen Bereich.
Georg von Mengden (1628–1702) wurde im Jahre 1668 zum Oberstleutnant erhoben. Peter I. (1672–1725) ernannte ihn zum Oberst und zum Befehlshaber des neu gegründeten Preobraschensker Leib-Garderegiments. In dieser Funktion nahm er am Krieg gegen die Türken in den Jahren 1695 und 1696 teil. Danach wurde Georg von Mengden zum General-Major befördert. Kurz vor seinem Tod wurde er Gouverneur von Kiew.
Johann (Iwan Alekseewitsch) von Mengden nahm am Nordischen Krieg (1700–1721) teil. Dann setzte der General-Major seine Laufbahn als Gouverneur von Kazan (1725–1726) und Astrachan (1726–1731) fort.
Nach dem Tod Peters des Großen begann die Ära der Imperatorinnen auf dem russischen Thron. Bis 1796 wurde Russland – abgesehen von zwei recht kurzen Unterbrechungen – ausschließlich durch Frauen regiert. Entsprechend wuchs auch die Rolle der Frauen bei Hof. Auguste Juliane von Mengden (1719–1787) war die erste Hofdame und Freundin der Großfürstin und Regentin des Russischen Imperiums, Elisabeth Katharina Christine Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin (1718–1746). 1741 wurde sie mit dem sächsisch-polnischen Gesandten, Graf Moritz Lynar, verlobt. Von 1740 bis 1741 war Auguste Juliane von Mengden die Erzieherin des minderjährigen Imperators Ioann VI. (1740–1764), der am 17. Oktober 1740 im Alter von zwei Monaten zum Imperator inthronisiert und bereits am 25. November 1741 gestürzt wurde. Nach dem Staatsstreich ging Juliane von Mengden freiwillig mit der kaiserlichen Familie in die Verbannung.
Für ihre Familie aber begannen schwierige Zeiten im sibirischen Exil. Ein Artikel in der Sankt Petersburgischen Zeitung berichtete Jahrzehnte später über die ungewöhnlichen Schicksalswendungen, die der junge Bruder der Juliane von Mengden erlebt hatte.
Dieser Artikel wurde auch in Deutschland als interessant empfunden und am 4. Mai 1763 in der Augspurgischen Ordinari-Post-Zeitung nachgedruckt.
Der Originaltext, umgeschrieben in Antiqua-Schrift:
„Moscau, den 18. Merz.
Gestern nahmen Ihro Kayserl. Majestät die auf dem sogenannten Gesandten Hof befindlichen Seiten Fabriquen in Augenschein, wobey Höchst-Dieselben eine ansehnliche Summe Gelds unter die Arbeiter austheilen liessen. Allen Einwohnern von Moscau und St. Petersburg, die Häuser von Stein bauen wollen, werden durch ein Kayserl. Edict die nöthigen Materialien dazu unter der Bedingung angeboten, durch zehen Jahr den Betrag derselben mit 3. Procent zu verintereßiren. Diese Materialien sollen von dem Schut der Befestigungs-Werke von St. Petersburg und Moscau genommen werden. Der junge Baron Mengden, welcher bey Anfang der Regierung der Kayserin Elisabeth mit seinen Eltern als ein Kind von 8. Monaten ins äusserste Siberien ins Elend verwiesen wurde, ist vor einigen Tagen von dem Ort seines 21jährigen Aufenthalts, wo er ausser seinen Eltern, die er vor 2 Jahren auch verlohr, und den Kerckermeister, keinen Menschen gesehen, hieher zurückgekommen. Sein Vatter hatte ihm lesen und schreiben auch rechnen gelernet, auf einer Tafel Schiefer, weil sie keine Bücher, noch Feder und Dinte hatten. Er hatte ihn auch mündlich in der Religion, der Geographie und Geschichte unterrichtet; da aber alle andere Gegenstände diesem jungen Menschen durchaus fremd geblieben, so war er gleichsam wie zum zweytenmal gebohren, als er aus dem Gefängnis gezogen wurde, und viele Personen nehmen sich nun seiner an, und die Kayserin hat ihn zum Fähndrich ernennet. Seine Schwester, die zur Zeit der Prinzeßin Anna von Mecklenburg, unter dem Namen Julie, so bekannte Fräulein Mengden, und Favorite der Prinzeßin, erhielte auch die Erlaubniß, aus Siberien zurückzukommen, und reisete vor einiger Zeit hierdurch nach Liefland.“