Russlanddeutsche
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Die Deutschen – ein Stammvolk Osteuropas
Russlanddeutsche Geschichte:
Zum 300-jährigen Jubiläum der Vereinigung
der Livländischen Ritterschaften des Deutschen Ordens
mit dem Zarentum RusWalther Friesen
Die Deutschen – ein Stammvolk Osteuropas
Am 10. September 1721, unterzeichnete Ostermann im Namen des Zaren Peter I. den Frieden von Nystad, der den 20-jährigen Krieg (1700–1721) beendete, und Livland, vertreten durch die Livländische Ritterschaft des Deutschen Ordens, vereinigte sich mit dem Zarentum Rus. Das war die Gründungsstunde des neuen Staatwesens Eurasiens – des Imperiums der Rossen. Dadurch wurde auch der andauernde gemeinsame Kampf gegen das türkische Osmanische Reich und seine Satelliten gekrönt. 1721 waren mehr als 100.000 Deutsche Livlands zu Imperiumsuntertanen geworden.
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Enzyklopädie „Deutsche Autoren Russlands“ von Edmund Mater
Russlanddeutsche Kulturgeschichte
Enzyklopädie „Deutsche Autoren Russlands“ von Edmund Mater
Dr. Wendelin Mangold:
"Edmund Mater hat mit seiner achtbändigen Enzyklopädie „Deutsche Autoren Russlands“ ein einmaliges Nachschlagewerk geschaffen, damit hat er Tausende in Vergessenheit geratene russlanddeutsche Autoren in Erinnerung gerufen, ihr Leben und Schaffen skizziert und die wichtigsten Quellen angeführt.
In zwanzig Jahren unermüdlicher selbstloser Arbeit hat Edmund Mater unzählige Bücher gesichtet, unendlich viel recherchiert, viele Tage in Bibliotheken und Archiven gearbeitet und auf privater Basis Reisen ins Herkunftsland der Autoren (Russland, Ukraine, Kasachstan, Kirgistan u. a.) und Herkunftsorte (Almaty, Bischkek, Kiew, Shitomir, Omsk, Irkutsk, Kaliningrad u. a.) unternommen.
Inzwischen ist sein Werk in breiten Kreisen bekannt und anerkannt geworden, sowohl in Deutschland als auch in Russland und in einer ganzen Reihe von Ländern bis Amerika, Kanada und Japan. Studenten, Doktoranden und Wissenschaftler weltweit benutzen inzwischen sein Werk als unschätzbare Quelle bei der Vorbereitung von Diplomarbeiten, Referaten und Dissertationen.
Die Herausgabe des Originalwerks von Edmund Mater ist längst überfällig geworden, es ist sehr wichtig als ein unerlässliches Dokument der Geschichte, Kultur, Kunst und Literatur der Russlanddeutschen sowohl hierzulande als auch in Russland und in der gesamten Welt. Es ist wichtig für die Stärkung des Bewusstseins und der Mentalität der Russlanddeutschen. Die Russlanddeutschen können stolz sein auf die Leistungen ihrer Landsleute sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Die Enzyklopädie von Edmund Mater schlägt eine Brücke zwischen den älteren und jüngeren Generationen der Russlanddeutschen und zwischen Ländern und Völkern, in erster Reihe zwischen Deutschland und Russland, zwischen den Deutschen und den Russen."
Rose Steinmark, Publizistin, Übersetzerin:
"Die Enzyklopädie „Deutsche Autoren Russlands“ ist die bisher vollständigste und umfangreichste Sammlung von Daten, Werken und Biografien bekannter Persönlichkeiten deutscher Herkunft, die in allen Bereichen der Wissenschaft, Geschichte, Literatur und Kultur tiefe Spuren in der Geschichte Russlands hinterlassen haben. Sie beinhaltet Namen von Wissenschaftler, Kulturschaffender, Schriftsteller Ärzte, Physiker, Chemiker, Geodäten, Politiker, usw., die in Russland lebten, arbeiteten und zusammen mit anderen Völkern diesen großen Staat aufbauten und den Progress des Landes ankurbelten.
Dem Autor der Enzyklopädie Edmund Mater gelang es, ein Werk zu schaffen, das es in unserer russlanddeutschen Medienwelt noch nie gab. Etwa drei Jahrzehnten trug er Teilchen der russlanddeutschen Geschichte zusammen und schuf damit sein Lebenswerk, auf das wir alle sehr stolz sein können.
Sein Werk besteht heute aus 8 (acht) Bänden, in denen über 6000 (sechstausend) Namen festgehalten sind. Durchdacht aufgebaut und inhaltlich zusammenhängend entspricht es allen wissenschaftlichen Forderungen der Enzyklopädien: Es enthält Angaben von Quellen, ist nach alphabetischer Reihenfolge aufgebaut und anschaulich mit Porträts, Bildern und Zeichnungen bestickt. Die Texte sind zum großen Teil zweisprachig präsentiert – in Russisch und in Deutsch, wodurch der Zugang zur gesammelten Information für einen größeren Kreis von interessierten Leser erleichtert wird und ihnen damit auf der Suche nach bestimmten Personen gute Hilfe leisten kann.
Leider existiert diese eindrucksvolle Schöpfung des Autors heutzutage nur in digitaler Form. Obwohl die Menschheit gegenwärtig gut mit digitalen Medien zurechtkommt, ist es doch ziemlich umständlich und aufwändig an die gefragten Information zu kommen. Es lauert auch die Gefahr, dass die Enzyklopädie eines Tages in den Internetweiten verschwinden kann. Und es wäre äußerst bedauerlich, wenn es dazu käme. Daher besteht die dringende Notwendigkeit, diese exzellente Arbeit auf Papier festzuhalten, die Bände in einem Verlag herauszugeben und dadurch der internationalen Öffentlichkeit einen repräsentativen Teil unserer russlanddeutschen Geschichte gängig zu machen."Eingabe für Internet Suchmaschinen: Edmund Mater Enzyklopädie
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Erzählung „Ein Haus für dich“ von Hugo Wormsbecher
Russlanddeutsche Kulturgeschichte
Der rumäniendeutsche Schriftsteller Ingmar Brantsch (* 1940; † 2013) über die Erzählung „Ein Haus für dich“ von Hugo Wormsbecher:
„Die poetisch dichteste Erzählung dürfte „Ein Haus für dich“ sein. Ein realsozialistischer Parzival und Don Quichotte in ein und derselben Gestalt baut ein Haus wie ein Heiligtum für seine große Liebe. Doch vor lauter Arbeit versäumt er es, seine Liebe zu offenbaren und muss zweimal erleben, wie seine Angebetete in unglückliche Beziehungen schlittert. Dieses Prosastück ist auch eine Anspielung auf die Gefahren, welche die Tugenden der Russlanddeutschen — Tüchtigkeit, Ausdauer und eiserner Arbeitseifer, selbst unter härtesten Bedingungen — in sich bergen. Ihr bescheidener Wohlstand, ihre Häuschen, Gärten und später auch Autos fördern mitunter den Vertreibungsdruck, da nicht wenige — häufig Funktionäre — billig an diese Früchte des Fleißes der Russlanddeutschen kommen wollen.“
Originalzeichnung aus dem Jahr 1965, die die Veröffentlichung dieser Erzählung in der Zeitung ‚Neues Leben‘ illustrierte. Neues Leben‘ war die in Russland herausgegebene Zeitung der Russlanddeutschen, die damals als „Sowjetdeutsche“ hießen.
Die Erzählung auf Deutsch und Russisch:
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Gelungener Gedenktag der VIRA – auch Anlass zum Feiern der Entstehung der 3. Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus
Gelungener Gedenktag der VIRA – auch Anlass zum Feiern
der Entstehung der 3. Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus
Der Allmächtige hat es so gewollt, dass die von der „Vereinigung zur Integration der russlanddeutschen Aussiedler e. V.“ akribisch vorbereitete und am 11. September 2021 durchgeführte Veranstaltung zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Deportation der Deutschen in der UdSSR, fiel mit dem 300-jährigen Jubiläum der Entstehung der Dritten weitgehenden Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus1 zusammen.Am 10. September 1721, unterzeichnete der gebürtige Bochumer Heinrich Johann Friedrich Ostermann im Namen des Zaren Peter I. den Frieden von Nystad, der den 20-jährigen Krieg (1700–1721) beendete, und Livland, vertreten durch die Livländischen Ritterschaften des Deutschen Ordens, vereinigte sich mit dem Zarentum Rus. Das war die Gründungsstunde des neuen Staatwesens Eurasiens – des Imperiums der Rossen. Dadurch wurde auch der andauernde gemeinsame Kampf gegen das türkische Osmanische Reich und seine Satelliten gekrönt. 1721 waren mehrere Zehntausende von Deutschen Livlands zu Untertanen und Bürgern des größten zusammenhängenden Staates der Geschichte geworden. Berechtigt können die Deutschen als seine Mitbegründer gelten.
Historische, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Vereinigung
1229 sandte der Smolensker Fürst Mstislaw Dawidowitsch (?; † 1231), auch im Auftrag der Fürsten von Polozk und Witebsk, eine Botschaft nach Riga und Wisby, um „die auf beiden Seiten herrschende Zwietracht zu beseitigen“ und „die Hindernisse zwischen den Einwohnern von Smolensk und den Deutschen zu beseitigen“.
Die Verhandlungen im Namen der Deutschen wurden vom Ritter Rolf von Kassel und im Namen der Russen vom in Smolensk ansässigen Diplomaten Tumasch (Thomas) Michailowitsch.
„Dass zwischen ihnen gegenseitiges Verständnis herrscht“ – so wird das in lateinischer Sprache verfasste Dokument eingeleitet – „und dass zur Freude der russischen Kaufleute in Riga und an der gotischen Küste und der deutschen Kaufleute im Fürstentum Smolensk bekannt wurde, dass Frieden und Harmonie hergestellt worden waren, und damit sie ewig und von den Menschen in Riga und anderen Deutschen, die auf der Ostsee segeln, geschätzt werden, haben die Vertragsparteien ein Gesetz entworfen, das sowohl für die Russen in Riga als auch für an der gotischen Küste und für die Deutschen in Smolensk verbindlich ist, und möge es für immer eingehalten werden.“
Der Vertrag, in dessen letztem Teil jeder Russe oder Deutscher, der gegen seine Bestimmungen verstieß, zum Übeltäter erklärt wurde, wurde in Riga in Anwesenheit des Bischofs, des Herrenmeister des Schwertbrüderordens Volkwin von Naumburg zu Winterstätten (*?; † 1236) und aller Bürger von Riga unterzeichnet, die ihre Siegel daran befestigten.
Ein mittelalterlicher Vertrag mit den daran befestigten SiegelnEs wurde auch von den Leitern der Handwerkszünfte von Wisby, Lübeck, Soest, Münster, Gröningen, Dortmund und Bremen unterzeichnet. Eine Kopie wurde in Wisby von „russischen Gesandten und allen lateinischen2 Kaufleuten“ unterzeichnet.
Die Nachfolger von Mstislaw Dawidowitsch bestätigten und ergänzten den Vertrag von 1229. Die Klausel, die in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts eingeführt wurde, sicherte den Deutschen ein unbegrenztes Recht, Häuser und Gehöfte zu besitzen. Sogar der Fürst selbst konnte „weder einen Tataren noch einen Boten“ dort einquartieren.
Der Vertrag von Smolensk von 1229 mit den darauf folgenden Ergänzungen und Rechtsprechungen verbriefte de facto die 1. Kulturelle und wirtschaftliche Autonomie der Deutschen und bestimmte den sozio-rechtlichen Status der Deutschen in einem der bedeutenden osteuropäischen Fürstentümer. Er beeinflusste den geopolitischen Paradigmenwechsel in anderen osteuropäische Staaten3 ein, nicht zuletzt im Großfürstentum Moskau.
Die Einladung der Deutschen
Ende März 1489 sandte der Großfürst von Moskau Iwan III., der sich als „Der Große Herrscher der ganzen Rus (Великий Государь всеа Руси)“ nannte, eine Botschaft an den Kaiser des Deutschen Reiches Friedrich III. (*1415; †1493) und seinen Sohn König Maximilian von Deutschland (*1459; † 1519), den zukünftigen Kaiser des Deutschen Reiches.
Die Anweisung vom 22. März 1489 an den persönlichen Gesandten Juri Trakhaniot (*?; †1513) und Iwan Chalepa, der ihn begleiteten, lautete:
„für den Großfürst diese Meister zu finden: einen Bergmann, der Gold- und Silbererz kennt, und einem anderen Meister, der weiß, wie man Gold und Silber von der Erde trennt... und Juri, um einen listigen Meister zu suchen, der in der Lage wäre, die Städte zu belagern, und einen anderen Meister, der in der Lage wäre, aus Kanonen zu schießen, und auch einen listigen Maurer zu finden, der in der Lage wäre, große Gefäße und Tassen zu machen, und er in der Lage wäre, die Inschriften auf diesen Gefäßen zu prägen; und sie müssen vorbereitet werden, um dem Großfürst als Leiharbeiter zu Diensten zu stehen. Und falls diese Meister nicht angeheuert werden wollen, sondern gegen den großfürstlichen Gehalt gehen wollen, und auch dann muss Juri diejenige, die für ein Gehalt des Großfürsten arbeiten wollen, mitnehmen...“4.
Dies ist die erste dokumentierte offizielle Einladung deutscher Spezialisten nach der Rus. Diese Einladung hatte weitreichende Auswirkungen. Nach einiger Zeit fanden die deutschen Geologen die Silbervorkommen an der Zilma, einem linken Nebenfluss der Petschora. Dies ermöglichte es Russland unter Iwan III., Münzen aus seinem eigenen Silber zu prägen. „Die Zeit ohne Münzen (Безмонетный период)“ in der Geschichte der Rus war endlich vorbei.
Im XV Jahrhundert wurde der doppelköpfige Adler des Byzantinischen Reiches zu einem Symbol des Widerstands gegen die türkische Aggression. Ab 1442 war er sowohl auf den Wappen des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) und Russlands (seit 1495) als auch der Balkanvölker, die den ersten Schlag der türkischen Eroberer zu erleiden hatten.
Föderativer Staat
Khanat Kasan – Zarentum Rus – Königreich LivlandDer 1558 begonnene 25-jährige Große Koalitionskrieg wird in der Geschichtsschreibung als Livländischer Krieg (1558–1583) bezeichnet und als ein Kampf zwischen dem Zarentum Rus, Polen-Litauen, Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Baltikum und im Ostseeraum dargestellt. Dennoch verzeichnen die Chroniken genau für diese Zeitspanne verwüstende Einfälle des Verbündeten des Osmanischen Reiches – der Krimtataren – auf das Zarentum in den Jahren 1559, 1560, 1564, 1570, 1572, 1578, 1581 und 1582.
Der Ausbruch des Livländischen Krieges kam Polen-Litauen und dem Osmanischen Reich sehr gelegen. Die beiden waren an einer Ablenkung bzw. Schwächung des Verbündeten des Deutschen Reiches interessiert.
Am 17. Januar 1558 marschierten die Truppen Ioanns IV. in Livland ein, unter dem Vorwand, die vertragsbedingten Rückstände einzutreiben (was eigentlich auch den Tatsachen entsprach). Zwar waren die livländischen Städte an der Ostseeküste wegen des Handels mit Westeuropa von strategischer Bedeutung für das Zarentum. Schon 1557 gründete Ioann IV. mit Unterstützung der Moskauer Kompanie den neuen Hafen am Ufer der Narwa, nicht weit von ihrer Mündung in die Ostsee und gegenüber der livländischen Stadt Narwa – mit dem Ziel, die traditionellen Handelsrouten umzuleiten und die livländischen Hafenstädte Riga und Reval zu umgehen. Dennoch wollte der Zar den Partnerstaat vielmehr als einen ihm freundlich gesinnten Nachbarn haben, der zwischen seinem Machtbereich und dem Deutschen Reich stehen bzw. ihn mit diesem verbünden sollte.
Die Anfangsphase des Livländischen Krieges war für das Zarentum Rus aus geopolitischer und militärischer Sicht triumphal. Nach der Einnahme der Festungen Narwa, Dorpat und Neuhausen, die den Zarentruppen zähen Widerstand geleistet hatten, gaben die meisten deutschen Festungen ohne Widerstand auf. Riga blieb jedoch unbesetzt. In den besiegten Städten blieb die gemeinwesentliche Selbstverwaltung bestehen, den Gläubigen wurde Religionsfreiheit gewährt und den Geschäftsleuten der steuerfreie Handel mit dem Zarentum versprochen. Der Zar ließ die Gelder für den Wiederaufbau von Narwa und Darlehen für die Grundbesitzer aus dem Staatsschatz ausgeben. Für den Winter 1558/1559 beschlossen die Zarenheerführer, die Mehrheit der Invasionsstreitkräfte auf frühere Stationierungspunkte, die sich auf dem Territorium des Zarentums befanden, abzuziehen. Nur kleine Besatzungen wurden in Livland belassen.
Diese Gelegenheit ergriff der neu gewählte Landmeister Livlands, Gotthard Kettler (*1517; †1587), dem der Deutsche Orden im Reich, die Deutsche Hanse und der neue Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Ferdinand I. (*1503; †1564) moralische Unterstützung versprochen hatten. Allerdings bekam Kettler realen militärischen Beistand vom katholischen Großfürstentum Litauen, das schon 1386 eine Union mit dem ebenso katholischen Polen eingegangen war. Am 31. August 1559 schloss Kettler mit dem Großfürsten von Litauen Sigismund II. August (* 1520; † 1572) ein Übereinkommen, dem entsprechend sich Süd- und Zentrallivland mit Riga als Protektorat dem Großfürstentum Litauen unterstellten. Gleichzeitig wurde Nordlivland mit Reval durch die schwedischen Truppen besetzt. Die Insel Ösel wurde den Dänen für 30.000 Taler verkauft.
Kettler sammelte die Verstärkungstruppen und überfiel die kleinen vereinzelten Besatzungsgarnisonen des Zaren. Kettlers Streitkräfte nahmen keine Gefangenen; die Chroniken berichten, dass 1000 Zarenkrieger niedergemetzelt wurden.
Die Vergeltungsaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Kettlers Truppen wurden in der Schlacht bei Ermes (2. August 1560) entscheidend geschlagen. Am 5. März 1562 legte Gotthard Kettler die Insignien des Ordensmeisters ab und schwor dem polnischen König den Lehnseid. Livland wurde in polnische, dänische, schwedische und zaristische Besatzungs- bzw. Einflusszonen aufgeteilt. Von diesem Zeitpunkt an musste der Zar Krieg gegen die übermächtige Koalition des katholischen Polen-Litauens führen, mit dem die lutherischen Königreiche Schweden und Dänemark sich verbündeten. Dann entschied sich der Zar für eine andere Strategie und bemühte sich, Dänemark auf seine Seite zu bringen. Dafür gab es gute Voraussetzungen.
Der König von Dänemark und Norwegen, Christian III. (* 1503; † 1559), führte 1536 den lutherischen Glauben in seinem Königreich ein. Zuvor stieß er auf zähen Widerstand des katholisch dominierten Reichsrates und der katholischen Bischöfe, die er letztendlich verhaften ließ. Christian brauchte sowohl die Unterstützung des ebenso lutherischen preußischen Herzogs Albrecht bzw. der Königsberger Theologen in Glaubensfragen als auch die Neutralität Preußens in seinem Kampf gegen den Nebenbuhler Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Schon 1550 richtete Christian dem Zaren sein Anliegen aus, eine lutherische Mission im Zarentum zu betreiben. Dieses Angebot blieb letztendlich nicht ohne Folgen.
1570 ernannte Ioann IV. den dritten Sohn von Christian III., Magnus von Dänemark (*1540; †1583), zum König von Livland und Oberbefehlshaber der russischen Armee im Feldzug gegen die Schweden, die Nordlivland in Besitz genommen hatten. Das Königreich von Livland war ein Neugebilde, das aus Bruchteilen des Besitzes des zerschlagenen Livländischen Ordens zur Sicherung der unmittelbaren Kontakte zwischen dem Zarentum und dem Deutschen Reich ins Leben gerufen wurde. Der aufgestellte König bekam ein 25.000 Mann starkes Heer.
In demselben Jahr, 1570, fielen die Krimtataren ins Zarentum Rus ein. Im folgenden Jahr durchbrach das Tatarenheer die Stellungen an der Oka und brannte vom 24. bis zum 26. Mai 1571 Moskau fast vollständig nieder. Danach verlangte der Krimkhan Devlet I. Giray (*1512; †1577) die gehorsame Unterwerfung des Zarentums, das seit der Eroberung von Konstantinopel (29. Mai 1453) die Ostfront des christlichen Widerstandes gegen die türkischen Invasionen darstellte. Der Zar war bereit, nachzugeben und den größten Teil seiner Besitzungen dem Osmanischen Reich und dem Krimkhanat abzutreten. Seine Kapitulationsbereitschaft erschreckte die Deutschen. Die Gräuel der türkischen Feldzüge gegen das Abendland und der Belagerung von Wien (1529) waren ihnen noch frisch in der Erinnerung.
Gegen die Horde der Eroberer wurde nur die Armee von 20.000 Mann unter der Führung des herausragenden Heerführers Michail Iwanowitsch Worotynski (*1516; † 1573) aufgestellt. Eine 7.000 Mann Armee livländischer Deutscher mit dem Feldherrn Jürgen von Fahrensbach (1551–1602), einem Vertrauten des Königs Magnus, eilte ihnen zu Hilfe.
In der Schlacht bei Molodi (Битва при Молодях), die sich zwischen dem 26. Juli und dem 2. August 1572 ereignete, zerschlug das verbündete christliche Heer (ca. 20.000 Mann), dank ihrer Militärkompetenzen, den zahlenmäßig fünffach überlegenen Gegner (ca. 125.000 Mann). Das war der Beginn des Niederganges des Krimkhanats.
Sowohl der Zar als auch der König von Livland waren bestrebt, ihr Bündnis auch durch Familienbande zu festigen. Am 12. April 1573 heiratete Magnus Marie Starizkaja (*1560; †1610), eine Nichte des Zaren.
Im Herbst 1575 trat Ioann IV. zurück und übertrug die Regierung an Sajin Bulat (*?; †1616), dem in Moskau ansässigen Khan von Kasimow, einem Enkel Achmads (?; † 1481), des letzten Khans der Goldenen Horde. Ein Jahr zuvor hatte er als Oberbefehlshaber der russischen Armee in Nordlivland vergeblich versucht, den Hafen Pernau zu erobern, der seit 1561 in schwedischem Besitz war. Der abgedankte Zar zog sich unter dem neuen Namen Fürst Iwan Mosckowskij für über ein Jahr aus dem Kreml zurück, übernahm aber Ende 1576 erneut die Macht.
Die infolge der Zarenabdankung unsichere politische Situation veranlasste König Magnus, seine eigene Politik in Bezug auf die Nachbarn zu verfolgen. Er nahm Verhandlungen mit dem König von Polen Stephan Báthory (*1533; †1586) auf und fiel dadurch in Ungnade beim Zaren. 1578 flüchtete er mit seiner Frau nach Riga, das von den Polen kontrolliert wurde.
Damit endete das kurzfristige Bestehen des Königreichs Livland und im weiteren Sinne das des föderativen Staates ‚Khanat Kasan – Zarentum Rus – Königreich Livland‘, in dem die Deutschen Baltikums eine weitgehende religiöse, administrative und wirtschaftliche Autonomie genossen. Das war die 2. Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus, die nicht auf dem leeren Boden gegründet worden war. Der Vertrag von 1229 legte den gewohnheitsrechtlichen Grundstein zur diesen Autonomie, die ihren Fortbestand in autonomen Vorstädten (Possad / посад) der Deutschen wiederfand.
Ein neuer Anfang der Deutschen im ZarentumDie Kampfführungsstrategie im Osten des Zarentums war auf die fachliche Unterstützung begabter Deutscher angewiesen, um die befestigten Stützpunkte an der Süd- und Ostgrenze zu bevölkern. Den aus den Chroniken abgeleiteten Einschätzungen des Autors nach, betraf die Umsiedlungspolitik Ioanns IV. im Verlauf des Livländischen Krieges Zehntausende von Deutschen und Ostbalten. 1588 dienten allein in der mittelgroßen befestigten Ansiedlung Dedilowo an der Südgrenze des Zarentums (ca. 200 Kilometer südöstlich von Moskau) 82 „ausländische Krieger“, so die Chronik.
Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang das abenteuerliche Leben von Johann Wilhelm von Fürstenberg (*1500; †1568), des vorletzten Landmeisters des Deutschen Ordens in Livland. Fürstenberg wurde im westfälischen Neheim, das heutzutage ein Arnsberger Ortsteil ist, geboren. Als Sechzehnjähriger trat er in den Deutschen Orden ein, wo er in der Versorgungseinrichtung für nachgeborene Söhne des westfälischen Adels ausgebildet wurde. Wilhelm folgte dem Vorbild zahlreicher Mitglieder der Familie von Fürstenberg. Wie diese begab er sich nach Livland, wo er im Laufe der Zeit wichtige Positionen erreichte. Am 20. Mai 1557 übernahm Fürstenberg als Landmeister die Führung der Angelegenheiten des Deutschen Ordens in Livland, dessen Armee zu diesem Zeitpunkt sehr schwach war und vor allem aus Söldnern bestand. Am 14. September 1557 schloss er ein Bündnis mit dem König von Polen, Sigismund August, der auch gleichzeitig der Großfürst von Litauen war. Diese neue Koalition richtete sich gegen das Zarentum Rus. Das Vermächtnis von Wolter von Plettenberg (*um 1450; †1535), der den Frieden mit Russland befürwortete, wurde der Vergessenheit preisgegeben.
Nach einer Reihe von militärischen Niederlagen wurde Fürstenberg 1559 des Landmeistersamtes enthoben und Gotthard Kettler als sein Nachfolger bestätigt. Allerdings behielt Johann Wilhelm von Fürstenberg wichtige Ämter im Ordensstaat, verwaltete weitläufige Gebiete und war im April 1560 der Oberbefehlshaber der Ordensburg Fellin, die als die größte im Baltikum galt. Die verheerende Niederlage der Söldner des Deutschen Ordens in der Schlacht bei Ermes (2. August 1560) trieb auch den Fall des belagerten Fellin voran. Fürstenberg wurde mit seinen Truppen gefangen genommen und in die östliche Grenzstadt Jaroslawl (280 Kilometer nordöstlich von Moskau) fortgeschafft, die den wichtigen Wolga-Handelsweg sicherte. Später schrieb Fürstenberg aus Jaroslawl seinen Verwandten, er habe keine Gründe, mit dem Schicksal zu hadern. Er fühlte sich in seinem neuen Zustand offenbar nicht eingeschränkt und wurde in Moskau bei Zarenaudienzen gesehen. Sein Schicksal war typisch für das vieler ehemaliger Angehörigen des Deutschen Ordens, die in Zarendiensten angestellt waren. Ein wichtiger Faktor, der die bewusste Pflichterfüllung seitens der „ausländischen Krieger“ veranlasste: sowohl das Zarentum als auch das christlich geprägte Europa führten zu jener Zeit die erschöpfenden Türkenkriege gegen das Osmanische Reich und seine Verbündeten. Die an den Grenzen zum türkischen Feind beheimateten Ordensmitglieder verteidigten also eigentlich die europäische Souveränität auf den fernen Vorfeldern des Abendlands.
Das tragische Fazit des 16. Jahrhunderts war die humanitäre Katastrophe des Ostbaltikums. Die deutsche Bevölkerung wurde zwischen dem Herzogtum Preußen, dem Herzogtum Kurland und Semgallen (seit 1561), die unter polnischer Hoheit standen, und den durch Schweden besetzten Territorien im Nordostbaltikum zerrissen. Einige ostbaltische Inseln gehörten Dänemark. Mehrere Zehntausend gefangen genommenen Deutsche Livlands wurden an den Süd- und Ostgrenzen des Zarentums – an der Verhaulinie (засеки [zaseki]) – angesiedelt.
Karte der Verhaulinie des Moskauer Staates im 17. JahrhundertDie Gräuel der Bartholomäusnacht (24. August 1572), die die französischen Katholiken an den protestantischen Hugenotten begingen, versetzten für Jahrhunderte die europäischen Protestanten in Schrecken und Misstrauen. Die beiderseitige Abneigung zwischen Katholiken und Protestanten war zur gesellschaftlichen Norm geworden.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schien es für viele ehemalige ostbaltische Mitglieder und Untertanen des Deutschen Ordens nur zwei Möglichkeiten zu geben: entweder sich irgendwie der drastisch geänderten geistlichen Umgebung anzupassen oder auszuwandern. Das Damoklesschwert der katholischen Rache blieb über den Köpfen der Lutheraner unter der polnischen Hoheit hängen, die lutherischen Kirchenrituale durften in den schwedischen bzw. dänischen Besatzungszonen Livlands nur in den nationalen Sprachen der Besatzungsmächte ausgeübt werden.
Der lutherische Glaube war im Zarentum Rus geduldet und in vielen Aspekten konnten die Protestanten und die christlichen Andersgläubigen, wie z. B. die Anhänger der Lehre von Andreas Osiander (*1496; †1552) oder Antitrinitarier, sich wesentlich ungehinderter in Ost- als in Westeuropa oder im Ostbaltikum fühlen. Der Militärdienst im Zarentum bot ihnen auch eine lukrative Perspektive. Den Offizieren und einfachen Verhauliniekriegern wurde guter Sold vom Zarenschatz entrichtet. Für zuverlässige Dienste wurden ihnen Bodenanteile mit Leibeigenen in der fruchtbaren Schwarzerde-Zone Osteuropas zugeteilt, die von dem Osmanischen Reiche erobert worden war.
Eine Gruppe von Deutschen aus Livland ließ sich in der Moskauer Vorstadt an den Ufern der Jausa, dem linken Nebenfluss der Moskwa, nieder. 1560 wurde dort die Lutherische Gemeinde gegründet, der der Sohn des friesischen Theologen Brictius thon Norde (*um 1490; †1557) vorstand. 1601 wurde auf Anordnung des Zaren Boris Fjodorowitsch Godunow (* 1552; † 1605) die lutherische Steinkirche in Moskau gebaut. Die deutsche Vorstadt von Moskau setzte die gewohnheitsrechtliche religiöse, kulturelle, wirtschaftliche und teilweise territoriale (wenn auch in kleinerem Maßstab) Autonomie der Deutschen in der Rus fort.
Dorniger Weg zur ImperiumsgründungIn der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zählten die osteuropäischen Chroniken 43 Einfälle der Krimtataren. Der Sultan des Osmanischen Reiches Selim II. (*1524; †1574) plante selbst die Eroberung des Zarentums Rus und forderte aus diesem Grund die erneute Unterstützung des Krimkhanats. Polen und Litauen verbündeten sich mit dem Sultan.
1606 endete der Lange Türkenkrieg (1593–1606). Eine einmalige Zahlung von 200.000 Gulden beendete den bis dahin jährlich den Türken zu zahlenden Tribut der Deutschen. Der Sultan musste den deutschen Imperator erstmals als gleichberechtigten Verhandlungspartner anerkennen. Dennoch schalteten sich schon ein Jahr zuvor die Verbündeten der Türken – die Polen – als vermeintlicher Garant der Erbrechte der Rurikiden in den innerpolitischen Streit des Zarentums Rus ein. 1605 okkupierten die Polen Moskau und setzten ihren Schützling Pseudodimitri I. (*?; †1606) auf den Zarenthron. Als dieser 1606 vom aufständischen Volk ermordet worden war, ließen die Polen ihren zweiten Protegé, den zweiten falschen Dimitri (*?; †1610), zum Zaren krönen.
1607, zum ersten Mal seit der Niederlage auf dem Schlachtfeld bei Molodi (1572), durchbrachen die Krimtataren die Verteidigungsstellungen an der Oka und verwüsteten die Gebiete, die ihrem Verbündeten, dem polnischen König, die Eidesleistung verweigerten. Die Bojaren und das Volk riefen ihre Nachbarn – die livländischen deutschen Ritter – um Hilfe an. Ein Teil der Ritter unterstellte sich nach dem Livländischen Krieg (1558–1583) der schwedischen Krone, sodass sie für ein solches Unternehmen der Einwilligung des schwedischen Königs bedurften. Der Titularkönig von Schweden, Sigismund III. Wasa (* 1566; † 1632), der von 1587 bis 1592 auch das gewählte Staatsoberhaupt von Polen-Litauen war, stimmte unter bestimmten Vorbedingungen zu. Der in Reval geborene Graf Jakob Pontusson De La Gardie von Läckö (* 1583; † 1652) war an die Spitze des Heeres gesetzt, das die Polen bei ihrem Vormarsch aufhalten sollte. Zusammen mit dem Zarenheer, das Michail Wassiljewitsch Skopin-Schuiski (*1586; †1610) führte, schlugen die Deutschen die Polen bei Twer und befreiten das Kloster der Dreifaltigkeit und des Heiligen Sergius im heutigen Sergijew Possad.
Am 10. März 1610 marschierten die Alliierten feierlich in Moskau ein, wo sie von der Bevölkerung mit Brot-und-Salz-Gabe begeistert bejubelt wurden. Am 18. März gab der zurückgekehrte Zar Wassili IV. Iwanowitsch Schuiski (*1552; †1612) in der von den Polen befreiten Hauptstadt ein fürstliches Festmahl zu Ehren von De La Gardie und seinen deutschen Rittern …
Im Winter 1656/57 fielen die Lipka-Tataren und Krimtataren in das Livland benachbarte Herzogtum Preußen ein. Der verwüstende Raubzug erfolgte, nachdem sich Polen 1654 mit dem Krimkhanat verbündet hatte. Die Tataren töteten bis zu 23.000 Menschen und verschleppten 34.000 Einwohner Preußens in die Sklaverei. Den Chroniken zufolge verhungerten oder erfroren bis zu 80.000 Menschen in den verwüsteten Landstrichen.
Allerdings war Ende des 17. Jahrhunderts auch für die Polen die Gefahr, von den Türken erobert zu werden, zur realen Bedrohung geworden und das deutsch-polnische Entsatzheer unter der Führung des polnischen Königs Johann III. Sobieski (*1629; †1696) rettete die vom 14. Juli bis 12. September 1683 belagerte Hauptstadt des Deutschen Imperiums – Wien – in der Schlacht am Kahlenberg (12. September 1683). Der Versuch des Osmanischen Reiches, Wien zu erobern und das Tor nach Zentral- bzw. Westeuropa aufzustoßen, war gescheitert. Dennoch dauerte der Große Türkenkrieg noch fast anderthalb Jahrzehnte. Im Frieden von Karlowitz (26. Januar 1699) musste sich das Osmanische Reich erstmals von den christlichen Mächten (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, Polen-Litauen, Republik Venedig, Kirchenstaat sowie Zarentum Rus) Friedensbedingungen diktieren lassen.
Inzwischen verschlechterte sich die Lage der Deutschen, Esten und Letten in Livland. Das 1561 entstandene Herzogtum Kurland und Semgallen stand unter der Suzeränität Polen-Litauens. Zwar erreichte Kurland unter Herzog Jakob Kettler (*1610; †1682) eine wirtschaftliche Blüte, verfügte über eine der größten europäischen Handelsflotten und besorgte sich sogar die Kolonien Tobago (Neukurland) und James Island am Gambia-Fluss in Afrika. Doch seine wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften wurden 1655 durch den Einfall der Schweden zunichtegemacht.
Der Vertrag von Oliva (3. Mai 1660) verbriefte die schwedische Oberhoheit über Livland und Riga. Die schwedische Krone ergriff diese Gelegenheit, um eine umfassende Enteignungskampagne, die man „Reduktion“ nannte, in Livland durchzuführen. Der schwedische König Karl XI. (*1655; †1697) ordnete an, die Bodenanteile der Deutschen für den Fiskus einzuziehen. Und gleichzeitig wurde auf grausame Weise versucht, den ehemaligen Grundbesitzern ihr beschlagnahmtes Eigentum zu verpachten, „um weitere Geldmittel flüssig zu machen“, und „die deutsche durch die schwedische Verwaltungssprache zu ersetzen“5.
Dem Kampf gegen die schwedischen Okkupanten stand Johann Reinhold von Patkul (*1660; †1707) vor. 1694 musste er ins Exil gehen, nachdem das Todesurteil über ihn verhängt und seine livländischen Güter beschlagnahmt worden waren. Am 1. November 1698 trat er in den Dienst Augusts des Starken (*1670; †1733) und erreichte, dass 1699 mit Dänemark und Russland ein gegen Schweden gerichtetes Bündnis geschlossen wurde. Darum sehen manche Geschichtsschreiber in Patkul den Initiator des Großen Nordischen Krieges (1700–1721). 1701 ging er in den Dienst des russischen Zaren Peter I. (*1672; †1725) und wurde 1703 dessen Gesandter am sächsisch-polnischen Hof. Doch als August der Starke einen Separatfrieden mit Schweden anstrebte, wirkte er diesem entgegen, woraufhin er am 19. Dezember 1705 inhaftiert wurde. Am 7. April 1707 wurde er an den Schwedenkönig Karl XII. (*1682; †1718) ausgeliefert. Dieser ließ ihn als Landesverräter rädern und vierteilen.
Der Anfang des Großen Nordischen Krieges nahm für Russland eine katastrophale Wendung. In der Schlacht bei Narva (20. November 1700) schlug der noch junge schwedische König Karl XII. die zahlenmäßig weit überlegene Zarenarmee vernichtend. Die schwere taktische Niederlage des Zarenheers bei Narva barg zugleich den Samen des späteren Erfolgs. Peter I. lernte aus seinem Misserfolg. Er forcierte die Schwerindustrie zur Herstellung des damals modernsten Kriegsgerätes. Mithilfe deutscher Fachleute reformierte und vergrößerte der Zar die veraltete Armee bis 1705 auf 200.000 Soldaten und machte sie den modernen Armeen Europas ebenbürtig. In der Schlacht bei Poltawa (8. Juli 1709) wurde die schwedische Hauptarmee völlig vernichtet und Karl XII. floh zu den Türken, bei denen er sich fünf Jahre aufhielt.
Im Herbst 1709 belagerten russische Truppen Riga und am 15. Juli 1710 kapitulierte seine schwedische Garnison.
Die 3. Autonomie der Deutschen in der RusAm 4. Juli 1710 schloss Generalfeldmarschall der russischen Armee Boris Petrowitsch Scheremetew (*1652; †1719) mit der Stadt Riga und mit der Livländischen Ritterschaft die sogenannten Kapitulationen, welche die Sonderstellung Livlands und Rigas im Zarentum Rus festlegte. Am 14. Juli 1710 huldigten die Livländische Ritterschaft und der Ständerat von Riga dem Zaren Peter I. Am 29. September 1710 wurden ähnliche Vereinbarungen in der Kapitulation mit der Stadt Reval und mit der Estländischen Ritterschaft geschlossen. General der Kavallerie Christian Felix Bauer (*1667; †1717) unterschrieb diese Kapitulation von russischer Seite.
Dem Herzogtum Estland und dem Herzogtum Livland wurden ihre Privilegien verliehen, die sie unter der schwedischen Krone vor der Reduktion besessen hatten. Zar Peter I. bestätigte die vereinbarten Bedingungen als immerwährend. Gemäß den Privilegien, hatte die livländische Selbstverwaltung (Autonomie) die Angelegenheiten der Rechtsprechung, Kirche, Schule, Wohlfahrt, Post, Gemeinde- bzw. Stadtverwaltung inne.
Die Rechte der von den Deutschen verwalteten Autonomie wurden im § 9 des Friedens von Nystad nochmals bestätigt:
„Seine Czarische Majest. versprechen daneben/ daß die sämtliche Einwohner der Provintzien Lieff- und Estland/ wie auch Oesel/ Adeliche oder Unadeliche/ und die in selbigen Provintzien befindliche Städte/ Magistraten/ Gilden und Zünffte bey ihren unter der Schwedischen Regierung gehabten Privilegien, Gewohnheiten/ Rechten und Gerechtigkeiten bestäntig und ohnverrückt conserviret/ gehandhabet und geschützet werden sollen.“
Somit erhielt die 3. Autonomie der Deutschen in der Rus auch die gesetzlich verbriefte internationale Anerkennung.
Die von den Deutschen verwaltete Autonomie wurde zunächst in zwei Bestandteile gegliedert: das Rigaer Gouvernement (Рижская губерния) und Reval Gouvernement (Ревельская губерния), ab 1795 gab es schon drei territorial-administrative Gliederungen: Kurländisches Gouvernement (Курляндская губерния), Livländisches Gouvernement (Лифляндская губерния), Esthländisches Gouvernement (Эстляндская губерния).
Neben der allgemeinen Verwaltung eines Gouvernements, Kronbehörden genannt, bestanden auch die Landesbehörden, welche die Selbstverwaltung in Livland verkörperten. Während die Kronbehörden samt dem Gouverneur oder Statthalter den zentralen russischen Behörden und Ministerien unterstanden, waren die Landesbehörden unabhängig von Weisungen der zentralen Staatsmacht. Laut den Kapitulationen war die lutherische Konfession ausdrücklich als herrschende Landeskirche anerkannt worden.
In allen Behörden und Institutionen war die deutsche Geschäftssprache beibehalten oder eingeführt worden. Sowohl in den Kreisschulen als auch in den Gymnasien Deutsch war die Unterrichtssprache.
Mit den Ostseegouvernements wurden zum ersten Mal Gebiete in das Russische Imperium eingegliedert, die nicht nur, wie etwa Nowgorod, unter starkem europäischen Kultureinfluss gestanden hatten, sondern die in ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Struktur, im Niveau ihrer geistigen und materiellen Kultur, in ihrer geschichtlichen Entwicklung und damit in ihren Werttraditionen echtes Abendland waren. Estland, Livland und Kurland wurden deswegen auch als die „deutschen“ Ostseeprovinzen Russlands bezeichnet.
Die Deutschen der Ostseegouvernements dienten daher fortan dem „Imperator und Selbstherrscher aller Reußen“, wie sie bisher der Krone Schwedens gedient hatten, als, wobei sich ihnen neue und ungeahnte Möglichkeiten eröffneten. Der deutsch-baltische Adel spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte Russlands. Aus seinen Reihen kamen zahlreiche Minister, Politiker, Generäle und Admiräle. Die deutschsprachige Universität in Dorpat hatte besonders im 19. Jahrhundert einen festen Platz im deutschen Kulturleben. Die Deutsch-Balten stellten den Adel und den Großteil des Bürgertums und bis weit ins 19. Jahrhundert die Mehrzahl der Stadtbewohner.
Während zur gleichen Zeit in den nordostdeutschen Territorien Preußens der absolute Fürstenstaat über die Stände triumphierte, vermochten die Ritterschaften und Stadtobrigkeiten der baltischen Provinzen ihre deutschrechtliche politische Eigenständigkeit zu bewahren.
Dieser Umstand hat zweifellos dazu beigetragen, dass die Deutschen Livlands, Estlands und Kurlands bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen ausbildeten, durch die sich von Angehörigen der gleichen sozialen Schichten in Preußen unterschieden. Dort entwickelte sich ein primär staatsbezogener, d. h. vom Staatsethos geprägter Menschentypus, während der deutsche Balte primär gesellschaftsbezogen war.
Allerdings, durch den Regierungsantritt der Thronusurpatorin Katharina II wurden die Beziehungen zwischen Sankt Petersburg und den baltischen Provinzen ihrer bisherigen Stabilität beraubt. Zunächst bestätigte sie die Privilegien von 1710. Jedoch 1764 erfolgte in der Frage der Autonomie der Provinzen ein Umdenken der Thronusurpatorin. Die Stärkung des russischen Absolutismus und der Gedanke, das Imperium als ein Ganzes zu sehen, setzten die baltische Autonomie stark unter Druck.
Auch die Zeit zwischen 1860 und 1905 sowie von 1910 bis 1917 war durch eine verstärkte bis radikale Russifizierungspolitik geprägt, welche die Privilegien der deutschen Ritterschaft immer mehr einengte.Aus der Abwehrhaltung gegenüber möglichen Eingriffen des andersnationalen Staates in die gesellschaftliche Sphäre bildeten die baltischen Deutschen Kräfte der nationalen Selbsthilfe aus und wiesen der Gesellschaft Funktionen zu, die anderswo staatlichen Organen zukamen.
Bis 1918 verfügten die Deutschen des Ostseegouvernements über eine beträchtliche Autonomie und behielten bis zum Ende ihrer Existenz ein unabhängiges Rechtssystem.
Die am 19. Oktober 1918 gegründete Arbeitskommune der Wolgadeutschen (ab 6. Januar 1924 – die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen) innerhalb der Teilrepublik der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken war die Umsetzung des gewohnheitsrechtlichen autonomen Status der Deutschen unter den neuen sozial-politischen Umständen.
Das von der „VIRA“ (http://vira-ev.de/) gefeierte Andenken an das Zerschmettern der Wolgadeutschen Republik ist gleichzeitig auch ein guter Anlass zum Feiern des 712-jährigen Bestehens der verbrieften gewohnheitsrechtlichen Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus: 1229–1941.
Referenzen:
1. Nach der Definition des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus Kyrill I. ist die Rus heute die Gesamtheit aus Russland, der Ukraine und Weißrussland.
2. So wurden u. a. die Deutschen, die Untertanen des Heiligen Römischen Reiches waren, genannt. Latein war die offizielle Sprache dieses Staatengebildes.
3. Nach den Berechnungen des Autors, in den X-XV Jahrhunderten auf dem Territorium des multiethnischen Osteuropas zu verschiedenen Zeiten gab es 163 Fürstentümer bzw. Großfürstentümer und 3 Republiken: Republik Wologda (1433-1481), Republik Pskow (XI Jahrhundert–1510) und Republik Nowgorod (882–1478)
4. Памятники дипломатических сношений древней России с державами иностранными. Часть первая: Сношения с государствами европейскими: Памятники дипломатических сношений с Империей Римской; том I; С. Петербург 1851; столбцы 19-20.
5. Tuchtenhagen, Ralph: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa; Wiesbaden: Harrassowitz 2008; S. 346.
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Herman Arnhold: Reflexionen über das Schmerzhafte
Reflexionen über das Schmerzhafte
Seit mehr als einem halben Jahrhundert bleiben die Peripetien des Opferschicksals der Russlanddeutschen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Besorgnis derjenigen von Russlanddeutschen, die ihre Zukunft eindeutig mit dem neuen Russland und der echten nationalen Wiederbelebung der Gemeinschaft der Stammesgenossen verbinden.
Jetzt werden die Aussichten für die begehrten Wünsche der Menschen leider immer problematischer.
Ein unparteiischer Beobachter kann nicht umhin, das rasche Verschwinden der Grundlage des nationalen Lebens des Volkes zu bemerken – der physischen Träger der nationalen Identität. Letztere verlassen leise und traurig den kargen nationalen Lebensraum als Fragment der deutschen Mentalität für den persönlichen Konsum. Sogar deutsche Nachnamen verschwinden in rasantem Tempo.
Darüber hinaus droht der Prozess des Zerfalls unumkehrbar zu werden.
Die Ausnahme sind vielleicht die beiden deutschen Nationalregionen, in denen glücklicherweise das nationale Leben in irgendeiner Form noch erhalten bleibt.
Was kommt als nächstes? Die Behörden haben offensichtlich ihr Herangehen ans Problem der Russlanddeutschen beschlossen. Sie haben den Vektor der Lösung unseres nationalen Problems demonstrativ in eine neue, für sich akzeptable Entwicklungszone verwandelt. Im Rahmen des letzteren wird höchstwahrscheinlich eine weitere Kampagne der nationalen und kulturellen Wiederbelebung stattfinden. Nach diesem Szenario wird bestimmt, (was meiner Meinung nach, das Wichtigste ist), welche Kultur bzw. „erweiterte Identität“ den Deutschen in Russland in Zukunft zuteilwerden könne.
Um eine positive Entwicklung der Situation zu erreichen, werden natürlich angemessene Maßnahmen des Staates und der Deutschen selbst erforderlich sein, was leider nicht geschieht. Im Gegenteil, es gibt viele Beispiele für das Gegenteil.
So wurde zum ersten Mal durch den Mund verantwortlicher Vertreter staatlicher Strukturen offen gesagt, dass die Russlanddeutschen keiner Rehabilitation bedürfen; zum ersten Mal wurde die Absicht angekündigt, die gesamte politische Komponente des Problems aus dem russisch-deutschen Protokoll über die Unterstützung der Russlanddeutschen zu entfernen.
Wieder einmal versuchen die Gesandten der Staatsduma, die die Initiative ergriffen haben, anstelle des Gesetzes über die Rehabilitierung der Russlanddeutschen, diesem Volk einen gewissen Ersatz in Form einer öffentlichen „Selbstorganisation“ aufzuerlegen.
Wieder und nicht zum ersten Mal reagierte die Präsidialverwaltung nicht auf die schriftliche Bitte der deutschen Öffentlichkeit, die offizielle Position des Staates in der Frage der Rückgabe nationaler Rechte an das bisher einzige nicht rehabilitierte, unterdrückte russlanddeutsche Volk bekannt zu geben. Solch eine abweisende und gleichgültige Haltung gegenüber den Menschen scheint meiner Meinung nach unverständlich.
Es ist klar, dass die Behörden versuchen, die Führung der Russlanddeutschen davon zu überzeugen, die Ideologie der nationalen Bewegung radikal zu „aktualisieren“. Die Menschen werden auf die Idee der Unvermeidbarkeit und Zweckmäßigkeit des freiwilligen Verzichts auf die Rehabilitation gebracht, in der Hoffnung, dass angesichts des gewonnenen Tempos der Assimilation das Problem von sich selbst bald verschwinden wird, ebenso wie die Menschen selbst. Die Destruktivität des auferlegten Kurses ist offensichtlich.
Es scheint, dass dies die Führung der Russlanddeutschen dazu veranlassen sollte, die Reihen zu schließen, um nach einvernehmlichen angemessenen Entscheidungen zu suchen und diese zu treffen. Doch nicht alle Russlanddeutschen sind mit einer derart negativen Einschätzung der Lage einverstanden. Darüber hinaus zeigt sich die Bereitschaft, seine Aktivitäten an die Bedingungen der Stagnation anzupassen.
Umfragen zufolge übersteigt die Zahl der Deutschen, die verschiedene, auch Clubveranstaltungen von Kulturzentren, besuchen, im Durchschnitt nicht 1-2%, was die aktuelle Situation nicht wirklich ändern kann. Dennoch ist es wünschenswert, die Arbeit fortzusetzen, aber in einer effektiveren Form. Warum dies geschieht, ist nicht leicht zu erklären.
Meiner Meinung nach, sind einige der Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unter den Russlanddeutschen in Gefangenschaft ihrer eigenen illusorischen Ideologie, die auf einer falschen Vorstellung von den Ursprüngen der Entstehung und der lebensfähigen Existenz unseres Volkes und seiner Kultur beruht. Daher zum Teil die entsprechenden Aktionen.
Viele glaubten rücksichtslos (ich vermute, dass sie so aufrichtig glauben) an die Möglichkeit einer wundersamen Wiederbelebung der Kultur eines Volkes, das frei von den Grundelementen des Selbstüberlebens ist.
Es ist nicht verwunderlich, dass unter diesen Bedingungen fast fünfzehn Jahre beträchtlicher intellektueller Anstrengungen und materieller Kosten für die „Entwicklung der Kultur“ sich als unproduktiv erwiesen und nicht die gewünschten Ergebnisse erzielten und sie waren eigentlich auch nicht imstande, solche Ziele zu erreichen.
Ein verschwindendes Volk kann eine nationale Kultur definitionsgemäß nicht wiederbeleben, weil sie außerhalb des Volkes nicht existiert.
Ich bin weit davon entfernt, die nützlichen Dinge zu leugnen, die mit Unterstützung Russlands und Deutschlands zugunsten der Russlanddeutschen getan wurden, auch im Hinblick auf die Erhaltung der Kultur. Es scheint jedoch, dass der Fortschritt in dieser Hinsicht nicht durch die Anzahl der realen und symbolischen Kulturzentren bestimmt wird, sondern durch die Zahl der deutschen Bevölkerung, die diese Zentren besucht, und, was noch wichtiger ist, durch das Maß, in dem sie greifbare Elemente der Nationalität behalten.
Ich möchte nachdrücklich betonen, dass ich keine allgemeine Meinung wahrnehme, angeblich sei es unmöglich, die Behörden mit Appellen und Forderungen zu belästigen, die für sie unbequem seien, etwa über Rehabilitation usw., um die gegenseitige Irritation und Ablehnung zu vermeiden. Im Gegenteil, ich halte es für notwendig, offen und entschieden berechtigte Empörung über die negative Position der Behörden zum Ausdruck zu bringen, die sich tatsächlich vor einer echten Lösung des Problems unseres Volkes scheuen.
Die Erinnerung an unsere Vorfahren, unschuldig ruinierte Väter, Mütter, Brüder und Schwestern, die einst eine mächtige russlanddeutsche Volksgruppe hervorbrachten, die uns die einzigartigen menschlichen Werte unseres Volkes vererbten, die im Laufe der Jahrhunderte von ihnen gepflegt und sorgfältig aufbewahrt wurden, verdient größere Ehre und Respekt, als wir ihnen zeigen.
Die Geschichte wird bestimmen, ob dies der Fall sei oder nicht, ebenso wie die Beteiligung eines jeden von uns an dieser heiligen Sache…
Herman Arnhold
Ehrenvorsitzender der Gesellschaft der Russlanddeutschen „Wiedergeburt“ Baschkortostans,
Veteran der nationalen Bewegung -
Hugo Wormsbechers Erzählung „Unser Hof“ – ein Meilenstein der russlanddeutschen Literatur
Prof. Dr. Carsten Gansel
„Hugo Wormsbechers Erzählung „Unser Hof“, die 1969 entstand und 1984 im Almanach „Heimatliche Weiten“ in Moskau erschien, kann als eine Pionierleistung der russlanddeutschen Literatur gelten. …
Wormbechers Erzählung selbst war bereits 1969 entstanden, aber eine Veröffentlichung wurde erst in den 1980er Jahren möglich. Zwar hatte die Literaturabteilung des ZK der KPdSU Ende der 1960er Jahre den Text, der damals noch den Titel „Vaters Spur“ trug, insgesamt durchaus positiv bewertet, aber der Autor sollte Veränderungen vornehmen, die an die Substanz gegangen wären. 1984 schien es endlich so weit zu sein, das längst überfällige Thema in das kollektive Gedächtnis einzuspeisen. Denn „Unser Hof“ erzählt von den fatalen Folgen der Zwangsrekrutierung in die Trudarmee und geht dem Schicksal einer russlanddeutschen Familie im Zweiten Weltkrieg nach. Zur Sprache kommt damit die Deportation der Russlanddeutschen unter Stalin. Doch auch 1984 war eine Publikation des Textes heikel und konnte für den Autor fatale Folgen haben. …
Hugo Wormsbecher entscheidet sich, das Geschehen konsequent aus der Perspektive eines Kindes zu schildern. Dass Ereignisse aus der Sicht des kindlichen Erlebens erfasst werden, wird bereits zu Beginn des Textes mit der ersten Kapitelüberschrift deutlich, die „Vatis Fußtapfen“ lautet. Über den kindlichen Ich-Erzähler wird das Trauma einer wolgadeutschen Familie erzählt, die durch die Stalinschen Entscheidungen zugrunde geht. Es beginnt mit dem Verlust der Heimat in der Wolgarepublik, mithin der Deportation der Familie in einen Teil der Sowjetunion, der ungenannt bleibt. …
Mit der Erzählung „Unser Hof“ hat Hugo Wormsbecher einen herausragenden Text geschaffen, der in den Kanon der deutschen wie der russischen Literatur gehört.“Den ganzen Text lesen: {phocadownload view=file|id=47|text=Hugo Wormsbechers Erzählung „Unser Hof“ – ein Meilenstein der russlanddeutschen Literatur|target=s}